Ein Gebäude zwischen Geschichte und Zukunft
Das Tintorum in der Färbergasse von Klausen ist mehr als ein Wohnhaus – es ist ein gebautes Gedächtnis, ein transformierter Zeitzeuge, der Jahrhunderte überdauert hat. Ursprünglich im 15. Jahrhundert errichtet, diente das Gebäude über Jahrhunderte hinweg als Armenspital. Doch der Glanz des Vergangenen schien lange verloren: In den 1990er-Jahren stand das Haus leer, morsche Balken, durchgebrochene Decken, einsturzgefährdete Mauern – ein Denkmal am Rand des Vergessens.
2014 wagte Architekt Stefan Gamper den Schritt: Er erwarb das ruinöse Gebäude – mit dem festen Willen, es nicht nur zu erhalten, sondern ihm neues Leben einzuhauchen. Dabei war der Anspruch hoch: Das Haus sollte seine historische Authentizität bewahren, gleichzeitig aber für das Leben von heute funktionieren – lichtdurchflutet, reduziert, stilvoll.
Wichtig war, nicht zu viel zu wollen, sondern sich in Zurückhaltung zu üben. Und so wurde das Projekt zur Gratwanderung zwischen Respekt vor der Geschichte und mutiger Neuinterpretation. Viele ursprüngliche Elemente wie Gewölbedecken, Natursteinmauern oder Tramdecken blieben erhalten. Alles, was nicht unter Denkmalschutz stand und die Klarheit des Raumes störte, wurde zurückgebaut – das Ursprüngliche freigelegt. Alte Spuren früherer Nutzung – etwa eine Tür von nur 1,70 m Höhe – wurden bewusst erhalten, als stilles Zeugnis vergangener Wohnkultur.
Die neuen architektonischen Eingriffe treten bewusst zurück: Möbelwände, Einbauten und Glastrennungen stehen wie „Implantate“ im Raum – mit Respekt zum historischen Bestand. Keine Berührung der Altbausubstanz, keine Dominanz des Neuen. Holz, Glas und Stahl treten als leise Begleiter auf, nicht als Gegenspieler.
Die größte Herausforderung bestand in der Belichtung: Das Gebäude liegt zwischen zwei schmalen Gassen, die Südfassade wird teilweise verdeckt. Über geschickt gesetzte Dachöffnungen, Loggien und Lichtachsen wurde Tageslicht tief in das Gebäude geführt.
Heute beherbergt das Tintorum vier außergewöhnliche Apartments, die modernen Komfort mit sichtbarer Geschichte verbinden. Die Raumaufteilung folgt einer offenen Dramaturgie: Wohnküche, Schlafbereiche und Rückzugszonen fügen sich zu lichtdurchfluteten Raumlandschaften, in denen Originalstrukturen wie massive Steinwände oder freigelegte Balkendecken den Ton angeben. Möbel sind zurückhaltend, meist integriert, teilweise flexibel rückbaubar. Die Materialwahl ist regional, sinnlich, ehrlich: gebürstete Lärche, Sichtbeton in den Bädern, gedämpfte Farben.
Der Luxus im Tintorum ist kein glänzender, sondern ein leiser. Ein Luxus der Gelassenheit, der Reduktion, der Handwerklichkeit. Architektur, verstanden als Dialog über Zeitgrenzen hinweg – klug, bescheiden und poetisch.
Zahlen & Fakten
Ort: Klausen
Fertigstellung: 2024
Fotos: @Hannes Niederkofler @Helmuth Rier